Jon Puleston, GMI Gamification ist eines der aktuellen Zauberwörter in der Marktforschungsbranche und erfreut sich immer stärkerer Neugier und Beliebtheit seitens der Forscher. Das Konzept wird in zahlreichen Bereichen eingesetzt: bei den Lehransätzen, im Marketing und sogar im Rahmen von komplexen staatlichen sozialwissenschaftlichen Projekten. GMI hat in den vergangenen Jahren die Möglichkeiten der Anwendung dieser Methoden in der Marktforschungsbranche umfassend erforscht, um herauszufinden, wie die Befragungen zu einem Spaßerlebnis führen und die entsprechenden Auswirkungen einer solchen Methodik gemessen werden können.
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Dieser Artikel wird Ihnen zeigen, wie die Spieltheorie und die spielerischen Befragungskonzepte im Rahmen der Marktforschung eingesetzt werden können. Er wird die Möglichkeiten zur drastischen Verbesserung der Teilnehmererfahrungen und der Qualität der Antworten präsentieren, die Ihnen die Gamifikation bietet.
Bei der Gamification werden die Spielmechanismen auf Alltagsaufgaben angewandt, um eine aktivere Teilnahme zu erreichen.
Über die Spieltheorie gibt es sehr viel Literatur. Ein guter Ausgangspunkt für die eingehende Beschäftigung mit diesem Thema dürfte beispielsweise das Buch “Reality is Broken” von Jane McGonigal sein. Oder einfaches Googeln nach ‘Gamifikation’ …
Zunächst einmal sollten wir genau verstehen, wodurch eine Aktivität zu einem Spiel wird. Es gibt zahlreiche Arten von Aktivitäten, die man – einige mehr und andere weniger offensichtlich – als Spiel bezeichnen könnte. Ein Spiel ist so ziemlich jede Form der Denkaktivität, die wir aus Spaß ausüben. Die klassischen Beispiele dafür reichen von Scrabble, Schach und Skat über verschiedene Sportspiele bis hin zu Videospielen. Spieltheoretisch können jedoch auch Aktivitäten wie Fernsehen, Gartenarbeit, Kochen, Photographie oder gar Sex als Spiele betrachtet werden. Der einzige Unterschied zwischen einer Arbeitsaufgabe und einem Spiel besteht sehr oft lediglich in einem Spaßfaktor und einigen albernen Regeln. Wenn ich Sie bitten würde, eine 10 Kilo schwere Tasche 10 Kilometer weit zu tragen, würden Sie dafür vermutlich bezahlt werden wollen. Wenn ich Ihnen jedoch dazu noch einen längeren Stab in die Hand drücken und Sie auffordern würde, damit unterwegs einen Ball möglichst präzise zu schlagen, würde daraus ein Spiel namens Golf werden – und Sie wären bereit zu bezahlen, um es spielen zu dürfen. Denken Sie nur an all die Stunden, die Kinder mit dem Spielen von Computerspielen verbringen: oft bestehen diese Spiele aus ziemlich komplexen Problemen, deren Lösungen dieselben intellektuellen Ressourcen erfordern wie die Mathematik-Hausaufgaben. Oder zum Beispiel unsere Bereitschaft, hohe Berge zu besteigen, lediglich weil wir es als eine Herausforderung erachten – während bereits kürzere unfreiwillige Laufdistanzen in uns Widerwillen hervorrufen. Auch eine Marktforschungsbefragung kann also ein Spiel sein. Meist ist es jedoch leider ein ziemlich langweiliges.
Das Hauptproblem bei der Online-Forschung besteht darin, die potentiellen Teilnehmer zur Teilnahme zu motivieren und dabei ihre vollständige Aufmerksamkeit zu erhalten. Das liegt vor allem daran, dass Befragungen meist als langweilig empfunden werden. Eine aktuelle Studie von Survey Nation zeigt, dass 58% der Teilnehmer nicht gerne an Befragungen teilnehmen. Quelle: http://blog.vovici.com/blog/bid/51233/58-of-Respondents-Don-t-Like-Surveys Wir spielen, weil es uns Spaß macht, weil es unterhaltsam ist. Um traditionelle Befragungen in eine spielähnliche Erfahrung umzuwandeln, müssen wir daher zunächst einmal ein unterhaltsames Befragungskonzept entwickeln. Wir konnten feststellen, dass bereits die Ankündigung eines Befragungsspiels anstatt einer klassischen Befragung (was eigentlich bereits eine Art des neurolinguistischen Programmierens ist) zu einer messbaren Änderung der Einstellungen der Teilnehmer gegenüber der Befragung führt. Hier ein Beispiel: Im Rahmen eines Experiments haben wir zwei Gruppen von Teilnehmern gebeten, an einer identischen Touchpoint-Studie teilzunehmen, bei der sie ihre Nutzung verschiedener Medien darstellen sollen. Bei der ersten Gruppe wurde die Befragung in traditioneller Form präsentiert und durchgeführt, während der anderen Gruppe erklärt wurde, dass wir ein Spiel spielen wollen, bei dem eine Werbekampagne entwickelt werden soll. Zur praktischen Umsetzung haben wir eine individuelle Anfangsseite erstellt (s. Bild unten) und die Formulierungen der Fragen leicht verändert, damit sie etwas mehr wie ein Spiel klingen. Die zugewiesenen Aufgaben waren jedoch bei beiden Gruppen praktisch identisch.
Das Ergebnis war: Bei dem spielähnlichen Befragungsdesign widmeten die Teilnehmer der Beantwortung der eigentlich gleichwertigen Fragen 20% mehr Zeit. Der Prozentsatz der Teilnehmer, die den Unterhaltungsaspekt der Befragung positiv bewerteten und erklärten, dass sie die Teilnahme genossen haben, stieg zugleich von 61% auf 84%.
Der Kern des Problems und der Grund für die Wahrnehmung der Befragungen als langweilige Pflichtaufgaben liegt in den Fragen selbst sowie in der Art, wie sie gestellt werden. Die Fragen sind nämlich oft trocken und lieblos. Um ein spielähnlicheres Befragungsdesign zu entwickeln, müssen daher zunächst einmal der Stil und die Formulierungen der Fragen neu gestaltet werden. Die Ursprünge des Sprachstils, der bei den Befragungen verwendet wird, reichen zurück in die Zeit der persönlich durchgeführten Interviews (‚face to face’), als es noch nicht so problematisch war, die Teilnehmer zu einer aktiven Teilnahme zu bewegen. Viel wichtiger war es, klare und verständliche Fragen zu stellen. Ohne zusätzliches visuelles Studienmaterial mussten die Formulierungen zudem sehr deskriptiv sein. Dies hat dazu geführt, dass sich sehr wortreiche, gestelzte und geschwollene Fragen als Standard etabliert haben. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Formulierung: “Bitte geben Sie anhand einer 10-Punkte-Skala an, wie stark sie den folgenden Aussagen jeweils zustimmen bzw. nicht zustimmen würden, wobei 1 ‚ich stimme überhaupt nicht zu’ und 10 ‚ich stimme sehr stark zu’ bedeutet”. So kann eine Marktforschungsbefragung wie ein behördliches Schreiben klingen – und somit eine emotional überaus befremdliche Erfahrung sein. Für die Online-Forschung ist jedoch ein deutlich entspannterer, unterhaltsamer, menschlicher und begeisternder Stil erforderlich und angebracht. Im Gegensatz zu den Online-Befragungen, müssen Sie sich bei den moderierten Interviews nicht fragen, ob der Teilnehmer wirklich zuhört und tatsächlich bemüht ist, die Fragen gewissenhaft zu beantworten: Sie sind ja dabei, Sie sehen ihn und können erkennen, ob er wirklich konzentriert und aufmerksam ist oder nicht. Bei dieser Befragungsmethode wird es ja auch kaum passieren, dass der Teilnehmer mitten im Interview einfach aufsteht und wortlos geht oder eine Reihe von Fragen automatisch immer gleich beantwortet. Online ist es für ihn jedoch sehr einfach, nur sehr flüchtig über die Fragen nachzudenken, ausgedachte Antworten einzutragen, irgendeine beliebige Option anzukreuzen und anschließend auf “Weiter” zu klicken – oder die Seite einfach zu verlassen sobald er gelangweilt ist. Einige unserer Experimente haben gezeigt, dass weniger als die Hälfte der Teilnehmer die Fragen richtig liest* und dass bei längeren Befragungen mit zunehmender Teilnahmedauer bis zu 80%* der Teilnehmer immer schneller und immer unüberlegter antworten. *Quelle: ESOMAR Puleston & Sleep 2008
Wenn Sie Ihre Befragung gamifizieren möchten, sollten Sie zunächst einmal über einen motivierenden Sprachstil und entsprechende Formulierungen der Fragen nachdenken. Versetzen Sie sich einfach einmal in die Rolle eines guten Interviewers oder einer guten Interviewerin, wie beispielsweise Oprah Winfrey – würde sie ein Interview beginnen mit: “Auf einer 10-Punkte-Skala…“?! Es gibt verschiedene Methoden, um Teilnehmer dazu zu bringen, Fragen gerne zu lesen und zu beantworten. Hier sind einige grundlegende Techniken, die wir empfehlen können: 1. Personalisierung 2. Emotionalisierung 3. Projektion 4. Imaginäre Zwangssituationen 5. Phantasie 1. Personalisierung: Eine der effizientesten Methoden, die Sie einsetzen können, um Fragen so umzugestalten, dass die Teilnehmer sie gerne beantworten, besteht darin, die Teilnehmer in die Fragen persönlich einzubeziehen. So kann zum Beispiel die Frage “Welche dieser Farben ist Ihre Lieblingsfarbe?” personalisiert werden zu: ”Wenn Sie Ihr Zimmer in einer dieser Farben streichen müssten – welche Farbe würden Sie wählen?”. Mir ist bewusst, dass die Frage in diesem Beispiel teilweise verändert wurde und dies entsprechende Auswirkungen auf die Antworten haben könnte. Jedoch können Sie die Fragen ganz einfach selbst nach der jeweiligen Relevanz der einzelnen Fragenaspekte anpassen. Wenn es zum Beispiel eine Befragung über Autos wäre, könnten Sie fragen, welche Farbe der Teilnehmer für sein Auto bevorzugen würde. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Teilnehmer 20% oder länger über Fragen nachdenken, wenn diese in einen persönlichen Kontext eingebunden wurden. 2. Emotionalisierung (ja, ein netter Neologismus!): Hierbei sollen verborgene Empfindungen aktiviert werden, die den Teilnehmer dazu bringen, intensiv über die Frage nachzudenken. Ein Beispiel dafür könnte die Frage “Was würden Sie tragen” sein. In der emotionalisierten Version würde es dann heißen “Was würden Sie tragen bei dem ersten Date?” Dies ist auch eine Form der Personalisierung, jedoch eine, die auf die Emotionen abzielt. Wir haben festgestellt, dass die emotionale Aktivierung dazu führen kann, dass die Teilnehmer der entsprechenden Frage bis zu 50% mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmen. 3. Projektion: Hierbei wird der Teilnehmer gebeten, sich in die Rolle einer anderen Person hineinzuversetzen. Das ist eine altbewährte Methode der qualitativen Forschung – und sie kann sehr effizient auch bei den Online-Befragungen eingesetzt werden. Ein Beispiel dafür könnte die Frage sein „Was denken Sie über dieses neue Produkt?“. Ändern Sie sie zu „Stellen Sie sich vor, dass Sie der Chef eines Unternehmens sind und nun dieses neue Produkt bewerten sollen …“ Wir haben diese Methode in verschiedenen Experimenten untersucht und festgestellt, dass sie bei richtiger Anwendung oft die Aufmerksamkeit der Teilnehmer und die erhaltene Antwortmenge verdoppelt. 4. Imaginäre Zwangssituation: Wenn Sie einen Teilnehmer auf eine kreative Art in eine imaginäre Zwangssituation versetzen, kann es ihn dazu bringen, innezuhalten und über das jeweilige Thema genauer nachzudenken. So könnte die Frage nach der Klamottenauswahl beispielsweise umformuliert werden zu: “Stellen Sie sich vor, Sie haben Kaffe über Ihre Hose verschüttet und müssen nun ganz schnell eine neue kaufen...“. Es geht dabei also darum, eine kleine Abwechselung in das Konzept zu bringen, um die Frage anders zu gestalten und sie aus dem eintönigen Stumpfsinn hervorzuheben. 5. Einsatz unrealistischer Phantasien: Auch der Einsatz unrealistischer Phantasieszenen ist eine sehr wirksame Möglichkeit zur interessanteren und unterhaltsameren Gestaltung von Fragen. Lassen Sie uns wieder die Frage „Was würden Sie tragen?“ als Beispiel nehmen – und stattdessen fragen „Was würden Sie tragen wenn Sie im Fernsehen auftreten würden?“, „Was würden Sie tragen wenn Sie Millionär wären“, „Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Urlaub in Paris gewonnen und dazu gehört auch eine unbegrenzte Einkaufstour durch die Klamottenläden und Boutiquen der Stadt“. Unsere Forschungen haben gezeigt, dass ein klarer Zusammenhang zwischen der Phantasie und dem Unterhaltungsfaktor besteht: je imaginärer der Kontext einer Frage ist, desto mehr macht es den Teilnehmern Spaß, sie zu beantworten – und desto umfangreichere Antworten geben sie. Es gilt also: Spaß erzeugt Feedback!
Abstrakte Regeln sind ein wesentlicher Bestandteil der meisten Spiele – durch Regeln kann beinahe jede Aufgabe in ein Spiel umgewandelt werden. Und damit diese Umwandlung wirksam ist, müssen die Regeln streng, albern, abstrakt und irrational sein. Eine Autofahrt kann man beispielsweise zu einem Spiel machen, indem man die Regel festlegt, dass bei jedem Überholen eines roten Autos ein Punkt gewonnen und beim Überholen eines grünen Autos ein Leben verloren wird. Oder dass man beim Vorbeifahren an einer Elster jedes Mal salutieren muss. Bei einer wissenschaftlichen Analyse des Unterschieds zwischen einer Arbeitsaufgabe und einem Spiel stellt sich heraus, dass er letztendlich lediglich in der Festlegung von Regeln und Belohnungen besteht. Einige der oben beschriebenen Methoden zur Steigerung der aktiven Teilnahme sind – rein theoretisch betrachtet – tatsächlich nichts anderes als Reglementierungsvorgänge. Unsere Forschungen haben gezeigt, dass die Festlegung klarer Regeln zur Beantwortung von Fragen tatsächlich dazu führen kann, dass die Teilnehmer die Fragen als ein Spiel wahrnehmen. Und hier ist ein mittlerweile berühmtes Beispiel: Frage = “Bitte beschreiben Sie mir Ihr Lieblingsgericht" Reglementierte Frage = “Stellen Sie sich vor, dass Sie Ihre Henkersmahlzeit bestellen dürfen: was würden Sie bestellen?”. Die Regel besteht also darin, dass es die letzte Mahlzeit des Teilnehmers sein soll. Frage = 3 Wörter pro Teilnehmer Reglementierte Frage = 15 Wörter pro Teilnehmer Und hier können Sie sehen, wie viel mehr Informationen man erhält, wenn die Frage gamifiziert ist:
Es gibt zahlreiche unterschiedliche Möglichkeiten, Regeln für Fragen festzulegen – und hier sind einige Methoden, die sich in unseren Studien bewährt haben. 1. Radikale Konkretisierung: Die einfachste und wandlungsfähigste Reglementierungsmethode besteht in der radikalen Konkretisierung eines bestimmten Szenarios. Viele Menschen machen dies bei der Entwicklung der Fragen automatisch und intuitiv. Wenn Sie also beispielsweise die Bekleidungspräferenzen eines Teilnehmers erfragen möchten, können Sie ganz einfach fragen „Was würden Sie anziehen“? Es ist jedoch deutlich unterhaltsamer, diese Frage in einem konkreten Kontext zu beantworten, z.B.: Was hätten Sie im vergangenen Jahr getragen, das Sie jedoch in diesem Jahr auf keinen Fall anziehen würden? Was würden Sie an einem heißen, sonnigen Sommertag anziehen? Was würden Sie für ein Vorstellungsgespräch anziehen? 2. Einschränkende Regeln: Bei dieser Methode schränken Sie die Möglichkeiten des Teilnehmers ein: beispielsweise die Anzahl der Wörter, die er schreiben darf – was zu wirklich unerwarteten Ergebnissen führen kann. Wenn man nämlich Menschen bittet, “sich zu beschreiben”, schreiben sie durchschnittlich 2,4 merkmalspezifische Begriffe auf. Wenn man sie jedoch auffordert, “sich mit nur 7 Wörtern zu beschreiben” – was zunächst einmal als eine Einschränkung klingt – tragen sie durchschnittlich 4,5 merkmalspezifische Begriffe ein – und somit doppelt so viele wie ohne eine explizite Einschränkung. Zudem widmen die Teilnehmer einer derart formulierten Frage mehr als doppelt soviel Zeit wie einer uneingeschränkten. Ein Beispiel für die sehr erfolgreiche praktische Anwendung dieser Technik findet man bei den Diskussionsbeiträgen auf LinkedIn: In der Gruppe ‘Innovation und Unternehmertum’ (Innovation and Entrepreneurship) ist mit 176 Kommentaren der am häufigsten beantwortete Beitrag die Frage „Schreiben Sie was Sie machen – in GENAU 7 Wörtern“. Die am meisten kommentierte Frage bei ESOMAR ist „Definieren Sie Talent mit einem Wort“ – mit über 201 Antworten. Schrittweise Verschärfung der Regeln: Eine weitere interessante Befragungsmethode besteht darin, Teilnehmer zu Entscheidungen zu zwingen, z.B.: Wenn Sie von all Ihren Klamotten 5 Bekleidungsstücke auswählen müssten, die Sie am besten charakterisieren: welche würden Sie auswählen? Wenn Sie in den Urlaub fahren würden und nur 3 Bekleidungsstücke mitnehmen könnten – eines für tagsüber, eines für abends und eines für besondere Anlässe...
Die Wissenschaft geht davon aus, dass die evolutionären Ursprünge des menschlichen Spieldrangs im Streben nach Verbesserung und Weiterentwicklung unserer Anpassungs- und Überlebensfähigkeiten liegen – insbesondere unserer Fähigkeiten als Jäger und Sammler. Jagen und Sammeln waren nämlich mitunter mehrtägige Aufgaben, die eine entsprechend lange Konzentration und Ablenkungsresistenz des Gehirns erforderten. Durch Spiele haben wir diese trainiert. Viele der besten Spiele versetzen die Menschen in genau diese Rollen der Jäger und Sammler. Denken Sie nun an einige der erfolgreichsten Computerspiele, wie Call of Duty oder World of Warcraft: Menschen verbringen dabei freiwillig unzählige Stunden mit ziemlich trivialen Aufgaben, nur um eine bestimmte Mission zu erfüllen. Wir haben herausgefunden, dass dieses Phänomen sehr gut für die Entwicklung und Formulierung von Fragen verwertet werden kann: indem man die Fragen bewusst so (um)formuliert, dass sie wie eine Mission klingen, erhöht man die Bereitschaft der Teilnehmer, der Beantwortung dieser Fragen deutlich mehr Zeit zu widmen. So könnte beispielsweise die Frage “Wie sehr mögen Sie diese Musiker …” umformuliert werden zu “Stellen Sie sich vor, dass Sie einen Radiosender haben und somit die Musik spielen können, die Sie auch selbst mögen – welche dieser Musiker würden Sie auf Ihre Programmliste setzen?“. Die Anzahl der bewerteten Musiker stieg in unserer Studie von 84 auf 148. Durch die veränderte Formulierung wurde die Frage für die Teilnehmer relevanter: sie war konkret und wurde zu einer Mission – was dazu führte, dass die Teilnehmer ihr stärkere Aufmerksamkeit und zweimal mehr Zeit widmeten. Bei einem anderen Experiment zur Steigerung der Teilnahmebereitschaft und -intensität im Rahmen der Bewertung einer Werbeanzeige haben wir die Teilnehmer nicht einfach nur gebeten, sich eine Werbeanzeige anzuschauen und uns anschließend ihre Meinungen dazu zu erzählen. Stattdessen haben wir eine Teilnehmergruppe gebeten, “sich vorzustellen, dass Sie für eine Werbeagentur arbeiten und die Vorpremiere einer TV-Werbekampagne einer Konkurrenzagentur für eine Konkurrenzmarke gesehen haben. Nun sollen Sie berichten, was Sie darüber denken”. Hierdurch wurde eine Aufgabe wieder zu einer konkreten Mission, und der Umfang der erhaltenen Antworten stieg von 14 auf 52 Wörter pro Teilnehmer. Dies ist eine sehr wandelbare Methode, die auf viele verschiedene Befragungssituationen angewandt werden kann. Dabei ist es entscheidend, dem Teilnehmer einen klaren persönlichen Grund für die Beantwortung der Frage zu geben.
Der präfrontale Cortex des menschlichen Gehirns ist auf die Entwicklung von Szenarien spezialisiert. Viele beliebte Spiele sind daher so konzipiert, dass darin hypothetische Annahmen und Situationen („Was wenn…“) berücksichtigt werden müssen. Die Umformulierung einer Frage in der Art, dass sie die Entwicklung eines Szenarios verlangt, ist eine weitere Methode zur spielerischeren Fragengestaltung. Statt der Frage „Mit welchen Begriffen würden Sie diese Marke beschreiben“, könnten Sie also beispielsweise fragen: „Stellen Sie sich vor, dass diese Marke ein Mensch ist – mit welchen Begriffen würden Sie diesen Menschen beschreiben“. Unsere Analysen haben ergeben, dass sich infolge dieser Umformulierung der Frage die Anzahl der von den Teilnehmern genannten Merkmale verdoppelt. In Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Kimberly-Clark haben wir mit diesen Methoden einen kompletten Fragebogen erstellt, um Meinungen über zwei miteinander konkurrierende Marken zu segmentieren.
Wir haben die Teilnehmer gebeten, an einer Reihe von kleinen Spielen teilzunehmen, bei denen sie raten sollten, welche Marke voraussichtlich die einzelnen menschlichen Charaktermerkmale aufweisen wird. Zugleich sollten sie anhand von Bildern Persönlichkeitsprofile der jeweiligen Marke erstellen. Dies kann für Teilnehmer einer Studie eine ziemlich komplexe und komplizierte Aufgabe sein – im Rahmen eines Spiels konnten sie jedoch nicht nur die Aufgabe besser begrifflich erfassen, sondern auch die Unterschiede zwischen den Marken so herausarbeiten, wie es mit den konventionellen Befragungsmethoden kaum möglich wäre.
Die meisten Spiele enthalten irgendeine Wettbewerbskomponente. Wir konnten zugleich feststellen, dass eine Wettbewerbskomponente auch bei Befragungen offenbar eine starke positive Reaktion hervorruft. So kann bei der Frage "Wie viele Versicherungsunternehmen kennen Sie" die Anzahl der erhaltenen Antworten oft verdoppelt werden. Wenn zugleich noch eine zeitliche Einschränkung hinzugefügt wird, erhält man noch mehr Antworten.
Wenn Sie den Teilnehmern beispielsweise erklären, dass sie zur Beantwortung der Frage nur 2 Minuten haben, glauben sie, dass sie sehr wenig Zeit haben, und versuchen, möglichst schnell möglichst viele Antworten zu nennen. Sie erachten die Aufgabe dann nämlich als eine Herausforderung. Wir haben einmal in einem Experiment die Teilnehmer gebeten, Nahrungsmittel zu nennen, die sie gerne essen. Bei einer zeitlichen Einschränkung wuchs die Liste mit den Nahrungsmitteln von 6 auf 35. Tatsächlich ist eine Zeitbegrenzung auf 2 Minuten gar keine Einschränkung. Für eine derartige Frage würden die Teilnehmer nämlich normalerweise nur 30 Sekunden aufwenden. Durch die Herausforderung der zeitlichen Begrenzung motivieren Sie sie somit eigentlich nur, viermal mehr Zeit für die Frage aufzuwenden – und diese Zeit werden sie ganz gewiss ausschöpfen.
Die meisten Spiele werden gespielt, um eine Belohnung zu erhalten. Das kann sowohl lediglich ein gutes Gefühl infolge der richtigen Beantwortung einer Frage sein als auch eine handfestere Belohung im Erfolgsfall, beispielsweise Punkte oder Preise. Das Angebot einer Belohnung im Rahmen einer Befragung ist eine der wirksamsten Techniken der Gamifikation. Und die Möglichkeiten zur Umsetzung dieser Technik sind zahlreich. In einem von uns untersuchten Beispiel erhielten die Teilnehmer Punkte für jede richtige Vorhersage. In einem weiteren Beispiel sollten sie Wetteinsätze auf ihre eigenen Einschätzungen placieren. Bei beiden Techniken haben die Teilnehmer der jeweiligen Aufgabe bis zu zweimal mehr Zeit gewidmet und die Teilnahme deutlich mehr genossen. So haben wir ein Experiment durchgeführt, bei dem die Teilnehmer die Zukunft von verschiedenen Marken vorhersagen sollten. Um diese Aufgabe spielerischer zu gestalten, erhielt jeder Teilnehmer einen Betrag, mit dem er auf seine eigenen Einschätzungen wetten konnte. Je nachdem ob der “Markt” ihre Einschätzungen bestätigte oder nicht, haben sie den eingesetzten Geldbetrag gewonnen bzw. verloren.
Bei einem solchen Konzept haben die Teilnehmer mehr als 100% länger über ihre Antworten nachgedacht.
Die Datenwerte haben sich durch das Wettspiel kaum verändert – jedoch ermöglichte es gänzlich neue Einblicke: wir konnten nunmehr sogar messen, als wie zuverlässig die Teilnehmer ihre eigenen Antworten erachten.
Die Teilnehmer haben die Teilnahme an derartigen Befragungen beinahe restlos als eine positive Erfahrung bewertet. Über 90% von ihnen erklärten, sie als sehr unterhaltsam empfunden zu haben.
Fast alle diese Gamifikation-Techniken erschweren eigentlich die Beantwortung der Fragen: Sie stellen Hürden auf, die erst einmal überwunden werden müssen. Wenn Sie an die erfolgreichsten und beliebtesten Spiele denken, wird Ihnen auffallen, dass sie viel mehr Konzentration und Aufwand erfordern als die Beantwortung eines Fragebogens. Denken Sie nur an Schach, Scrabble oder die meisten Kartenspiele. Bei der Konzipierung von Fragebögen beschränken wir uns oft auf einfache Fragen, z.B. „Welche ist Ihre Lieblingsfarbe?“ statt Teilnehmer zu komplexeren Aufgaben herauszufordern. Unsere Forschungsergebnisse zeigen jedoch: je komplexer eine Aufgabe ist, desto unterhaltsamer, spaßiger und vielfältiger kann die Teilnahme an der entsprechenden Studie sein. Bei dem oben beschriebenen Experiment mit der Bewertung der Werbeanzeige haben wir beispielsweise einer Teilnehmergruppe eine komplexe Aufgabe zugewiesen, bei der sie eine ganze Werbekampagne entwerfen und den relativen Wert von verschiedenen Medien gewichten sollte. Hierdurch wurde die Beantwortungszeit um 4 Minuten erhöht.
Trotz dieses zusätzlichen Aufwands, bewerteten die Teilnehmer den Unterhaltungsfaktor der Befragung um 10% positiver.
In Zusammenarbeit mit Sony haben wir eine Ethnographie-Studie konzipiert, bei der sich die Teilnehmer vorstellen sollten, dass sie für eine Zeitschrift interviewt und ihre Antworten veröffentlicht werden. Das Ergebnis war: Die Teilnehmer haben der Beantwortung der Fragen 30% mehr Zeit gewidmet und die Gesamtanzahl der Wörter stieg von 230 auf 350. In dieser Form war die Aufgabe einfach sehr viel interessanter.
Um erfolgreich zu sein, müssen Spiele Hürden enthalten, die mit einer richtigen Mischung aus Können und Glück überwindbar sind. Sobald ein Spiel als zu schwierig erscheint, werden es nur wenige Menschen spielen wollen – ein gutes Beispiel dafür ist das Spielen von Musikinstrumenten: Es ruft wirklich tolle Gefühle hervor, jedoch ist das Erlernen dieser Fertigkeit meist schwierig, so dass nur wenige Menschen es tun. Und zugleich: Sobald ein Spiel zu einfach zu sein scheint, werden es ebenfalls nur wenige Menschen spielen wollen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Kinderspiel ‚Ich sehe was, was du nicht siehst’. Die gamifizierten Fragen müssen also stets den richtigen Schwierigkeitsgrad aufweisen – weder zu leicht noch zu schwierig. Übersetzt aus dem Englischen von:
Quellenverweis: Artikel erstmalig erschienen auf Gamifikation - quirks.com.
Jon Puleston ist VP of Innovation bei GMI und leitet GMI Interactive, ein Team von Spezialisten für die Entwicklung von interaktiven Befragungen und Technologien für die Online-Marktforschung. Zuvor war er Gründungsdirektor von Media Intelligence, einem Anbieter von technischen Lösungen, der die erste interaktive Autorensoftware für die Marktforschungsbranche entwickelt hat und ein Vorreiter bei zahlreichen innovativen Online-Forschungsmethoden, wie beispielsweise Virtual Shopping, Dial Testing und Click Testing war. In den vergangenen 5 Jahren erforscht er intensiv die Möglichkeiten zur effizienteren Einbindung von Teilnehmern an Online-Befragungen. Mit seinen aktuellen Arbeiten über die Gamifikation für die Marktforschung hat er den MRS Award 2011 für die innovativen Marktforschungsmethoden sowie den ESOMAR Congress Award 2011 für den besten Fachartikel über die Forschungsmethodologie gewonnen. Er hält regelmäßig Fachvorträge, schreibt für mehrere Blogs und leitet branchenrelevante Seminare über die Entwicklung von effizienten Befragungsdesigns. Zuletzt erhielt er den WPP Atticus Award für die Forschungspraxis. Weitere Informationen finden Sie in seinem Blog, unter: Jon Puleston Blog